Über Raiffeisen OÖ Ventures
Hallo Herr Sancar, was hat Sie dazu veranlasst, Raiffeisen OÖ Ventures ins Leben zu rufen, und welche Ziele verfolgen Sie?
Raiffeisen OÖ Ventures ist aus dem Strategieprojekt der Raiffeisenbankengruppe Oberösterreich hervorgegangen. Ziel war es, innovative, zukunftsfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln und die Werte einer Genossenschaft erlebbar zu machen. Daraus entstand die Idee eines regionalen Ökosystems.
Das Motto unseres Strategieprojekts „Vom Kunden her denken“ legte den Grundstein für eine radikale Kundenorientierung, die uns von einem finanziellen zu einem generellen Alltagsversorger transformiert. Dies schafft ein neues Markenerlebnis und erschließt neue Erlösströme. Wir fördern unseren genossenschaftlichen Auftrag, indem wir die regionale Wertschöpfung unterstützen.
Venture Building an der Schnittstelle von Start-ups
Was macht erfolgreiches Venture Building an der Schnittstelle von Start-ups und einem etablierten Unternehmen für Sie aus?
Erfolgreiches Venture Building erfordert eine klare Vision und das Beste aus beiden Welten. Die Agilität unseres Start-ups und die Stabilität des Raiffeisenkonzerns schaffen ein fruchtbares Umfeld für Wachstum. Innovation bedarf schneller Entscheidungen und des Commitments des Managements, um Veränderungen umzusetzen. Der Weitblick unserer Eigentümer hat uns geholfen, als Pionier ein Beyond-Banking-Ökosystem zu operationalisieren.
Kulturelle Kompatibilität ist wichtig, um unsere dezentralen Raiffeisenbanken als Vertriebspartner zu mobilisieren. Neben intensiver Kommunikation hilft das Verständnis unserer Gesamtstruktur sowie der Bankensysteme und -prozesse. Erfolgreiches Venture Building erfordert auch die Schaffung entsprechender rechtlicher Rahmenbedingungen, wobei die komplexe Bewertung und Umsetzung eine zentrale Rolle spielen und im Rahmen der Technologieentwicklung berücksichtigt werden müssen.
Welchen Herausforderungen sehen Sie sich gegenüber und wie lösen Sie diese?
Unser Projekt war zunächst geprägt von umfangreichen Recherchen, Planungen, rechtlichen Herausforderungen und einem immensen technologischen Aufwand. Bei der Umsetzung von Innovationsprojekten stellt der Wandel im Unternehmen einen großen Unsicherheitsfaktor dar. Neben der Erweiterung des Geschäftsmodells wird häufig in die strukturelle Integrität der Unternehmenskultur und das Selbstverständnis der Mitarbeitenden eingegriffen. Daraus ergeben sich große und ressourcenintensive Kommunikationsaufgaben. Für uns war es eine Art Organisationsentwicklung mit einer Veränderung der DNA von Kolleginnen und Kollegen, die plötzlich weitere Themen auf ihren Tischen fanden.
Im Marktplatzbereich kommt das Henne-Ei-Problem hinzu: Was wird zuerst geschaffen, das Angebot oder die Nachfrage? Hier kommt uns die Struktur von Raiffeisen zugute, die es uns ermöglicht, über ein Netzwerk von bestehenden Kontakten beide Kategorien anzusprechen. Andere potenzielle Ökosystembetreiber müssten hohe Summen investieren, um überhaupt Zugang zu den Unternehmen zu bekommen, die wir als langjährige Bankkunden vertrauensvoll betreuen.
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Ideenmanagement und Aufbau von Start-ups
Wie wählen Sie vielversprechende Ideen im Beyond-Banking-Bereich aus?
Beyond Banking soll neben dem Kernbankgeschäft und den Beteiligungen eine weitere Säule des Geschäftsmodells werden. Die Idee muss auf einem zu Ende gedachten Business-Case basieren; eine gewinnbringende Darstellung indirekter Erträge reicht nicht aus.
Mit unserem Netzwerk verbinden und aktivieren wir das „WIR“. Dabei orientieren wir uns stark an den genossenschaftlichen Werten Raiffeisens. Jede Idee muss Alltagsrelevanz schaffen und die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit (digital und physisch) unterstützen. Neue Lösungen müssen in das digitale Ökosystem integrierbar und skalierbar sein. Unsere Stärke liegt darin, alle Lebenswelten in einer integrativen Lösung digital abzubilden, komfortabel und einfach in einer „Super-App“.
Welchen Ansatz verfolgen Sie beim Aufbau neuer Ideen bzw. Start-ups?
Alles beginnt mit der Vision und den strategischen Zielen, unter Berücksichtigung von Trends, Kundenbedürfnissen und Märkten. Nach der Validierung und Entwicklung der Ideen kümmern wir uns um die Integration in das bestehende Geschäft, um Synergien zu nutzen. Regelmäßige Überprüfungen und Anpassungen sind notwendig, um auf Marktveränderungen zu reagieren. Vor allem braucht es einen Kulturwandel und eine Kultur des Lernens sowie der kontinuierlichen Verbesserung, um aus Erfolgen und Misserfolgen zu lernen. Jede Lösung benötigt ein verantwortliches Team mit Branchenkompetenz.
In der Vergangenheit hinkten Banken bei Innovationen oft anderen Branchen hinterher. Jetzt wagen wir uns in den Digital Commerce, eine Branche, die schon immer sehr innovativ war. Deshalb arbeiten wir interdisziplinär, um echte Beyond-Banking-Lösungen zu entwickeln, indem wir bewusst nicht beim Kernbankgeschäft, sondern beim „Beyond“ ansetzen und uns an der tatsächlichen Kundenreise ausrichten. Dort, wo das Kundenbedürfnis entsteht, schaffen wir dann die Verbindung zum Kerngeschäft.
Können Sie Beispiele für erfolgreiche Initiativen nennen?
Nach mehrjähriger Umsetzung ist aus dem geplanten Ökosystem eine Digital-Commerce-Innovation mit dem Namen finde-R entstanden. finde-R steht für #findeRegionales und ist ein regionaler Alltagsbegleiter, der über das Raiffeisen-Netzwerk hinaus alle Menschen und Unternehmen in Oberösterreich verbinden soll. finde-R informiert, inspiriert und bringt das beste Angebot mit der jeweiligen Nachfrage zusammen.
Durch die Verknüpfung von Informationen, Produkten, Dienstleistungen, Echtzeitkommunikation und weiteren Features entstehen Mehrwertangebote. So profitieren Menschen und Unternehmen in einem gemeinsamen Ökosystem von regionalen Lösungen und beleben zusammen die lokale Wirtschaft. Information, Interaktion und Transaktion finden ohne Verlinkung auf externe Seiten statt, sodass die Kundenschnittstelle und die Daten erhalten bleiben.
Mit finde-R verbinden wir Plattformökonomie und Regionalität zu einem ganzheitlichen Ansatz, der uns von anderen Lösungen maßgeblich unterscheidet.
Welchen Tipp können Sie anderen Instituten in Ihrer Situation mitgeben?
Unternehmen sind gefordert, Strategien zu entwickeln, die über das klassische Geschäft hinausgehen. Früher folgte die Technologie der Strategie als Umsetzungsinstrument. Das ist heute nicht anders. Nur heute kann technologisches Wissen helfen, innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln. First Mover werden belohnt, denn Kunden danken für den geschaffenen Mehrwert mit Loyalität.
Wir glauben, dass beim Thema „regionales Ökosystem“ die Märkte langfristig besetzt werden. Derzeit sind die Märkte noch verteilt. Aus unserer Sicht wird sich dieses Zeitfenster bald schließen, und die Infrastrukturanbieter/Ökosystembetreiber werden als Gewinner vom Platz gehen. Es geht also vor allem darum, schnell zu sein.
Die Strategie ist die eine Seite, die Umsetzung ist eigentlich die größte und wichtigste Herausforderung. Für eine effektive Umsetzung müssen die Menschen im Unternehmen durch eine interne Kommunikationsstrategie und starke Werte überzeugt werden. Beispielsweise darf ein authentisches regionales Ökosystem nicht von zentralen Dienstleistungen aus der Hauptstadt geprägt sein.
Der vorhandene Business-Case sollte eine leistungsorientierte Incentivierung des Vertriebs mit direkten Ertragsmöglichkeiten ermöglichen. Die Monetarisierungschancen sollten mit dem Vertrieb, in unserem Fall den dezentral organisierten Raiffeisenbanken, abgestimmt sein.
Unser Proof of Concept hat gezeigt, dass die Alltagsrelevanz im Beyond-Banking-Ökosystem nur mit vielen Lebenswelten erreicht werden kann. Wir empfehlen daher nicht, die Lösung auf ausgewählte Branchen zu beschränken (z. B. nur Bauen und Wohnen). Darüber hinaus ist eine nicht diversifizierte Lösung nicht immun gegen Branchenschwankungen und konkurriert in einem gesättigten Markt. Ein Multi-Lebenswelt-Ansatz hingegen bietet neue Möglichkeiten der Vernetzung und damit der Positionierung mit Alleinstellungsmerkmalen.
Die ganze Kraft eines Ökosystems entfaltet sich erst im zweiten oder dritten Schritt. Deshalb braucht es einen langen Atem und Verständnis für Innovationsprojekte. Es gilt, die notwendigen Weichen zu stellen. Um skalieren zu können und auch in Zukunft flexibel, anpassungsfähig und erweiterbar zu sein, bedarf es einer langfristig ausgelegten Technologiearchitektur.
Zukunft von Raiffeisen OÖ Ventures
Was sind die zukünftigen Entwicklungen bei Raiffeisen OÖ Ventures?
Wir erweitern und verbessern unser Ökosystem ständig. Wir sind immer auf der Suche nach innovativen Ideen und Kooperationsmöglichkeiten, um unser Angebot auszubauen.
Neue Geschäftsfelder erfordern zusätzliche Infrastrukturen. Eine starke Basis ist unsere regionale Nähe mit flächendeckender Präsenz. Raiffeisen leistet einen wichtigen Beitrag für eine lebenswerte Region. Wir sprechen von Initiativen, Förderungen, Sponsorings diverser Vereine sowie Veranstaltungen im Bereich Sport, Kunst, Kultur und vielem mehr. Raiffeisen ist überall ein Möglichmacher. Neben der dezentralen analogen Basis haben wir nun eine zentrale digitale Lösung als Bindeglied für all diese realen Leistungen auf einer gemeinsamen Technologie aufgebaut. Dezentrale und zentrale sowie analoge und digitale Infrastrukturen müssen im nächsten Schritt ineinandergreifen, um einen Wirtschaftskreislauf, also ein Ökosystem (Lebens- und Wirtschaftsraum), zu schaffen. Das ist gelebte Kreislaufwirtschaft und Wertschöpfung. In der Region für die Region mit echtem Nutzen für die Menschen.
Mit finde-R haben wir ein großes und wichtiges Puzzleteil in unserer Beyond-Banking-Strategie gesetzt und damit die Basis geschaffen. Unsere Partner können von unserer Investition sowie dem gesammelten Know-how profitieren und so Zeit sparen und risikoreiche Eigenentwicklungen umgehen. Die Möglichkeiten von White-Label-Lösungen und das Regionalitätsprinzip in unseren Geschäftsmodellen vermeiden Interessenkonflikte. Gemeinsam können wir das „Wir“ stärken und die Zukunft gestalten.
Lieber Herr Sancar, vielen Dank für den informativen Austausch. Wir wünschen weiterhin viel Erfolg und Innovationskraft für die nächsten Abenteuer!
Zinswende & Relevanz regionaler Beyond-Banking-Ökosysteme
Leseempfehlung
Auf dem Bank Blog geht unser Gesprächspartner Binjamin Sancar der Frage nach, ob Geschäftsmodellinnovationen noch einen Stellenwert haben oder Banken sich auf ihr Kerngeschäft ausruhen können.