Strukturierte Fehleraufbereitung für eine effektive Fehlerkultur
Reflexion von Fehlentwicklungen durch offenes, gegenseitiges Feedback
Aus Fehlern lernt man nicht. Erst durch eine angemessene Reflexion von Fehlentwicklungen lassen sich Maßnahmen und Verbesserungspotenziale ableiten. Doch für diese Reflexion gibt es in vielen deutschen Unternehmen wenig Platz.
In einer hierarchisch geprägten Organisation ist die Gesichtswahrung vermeintlich wichtiger als eine strukturierte Fehleraufbereitung und damit eine effektive Fehlerkultur. Führungskräfte haben Angst, an Reputation zu verlieren, wenn Entscheidungen korrigiert oder Fehlentwicklungen eingestanden werden. Gleichzeitig finden Mitarbeitende weder Anreiz noch Medium, um Probleme und Störfaktoren transparent zu machen und zu analysieren. In der Konsequenz werden Fehlentwicklungen verschleiert, Probleme bleiben bestehen oder potenzieren sich sogar über die Zeit.
In der Luftfahrt hatte es ähnliche Erfahrungen gegeben – mit teilweise katastrophalen Auswirkungen. Einige Abstürze hätten – im Nachhinein betrachtet – auf profane Weise verhindert werden können: Probleme und mögliche Lösungsoptionen waren bekannt, sind jedoch bei den verantwortlichen Personen nicht angekommen bzw. von diesen nicht aufgenommen worden.
Insbesondere haben sich Flugkapitäne/-innen von ihren Co-Piloten/-innen oder von Flugingenieuren/-innen nicht korrigieren lassen. Nach einer Reihe von Unfällen in den siebziger Jahren wurde ein Kulturwandel angestoßen und „Crew Resource Management“-Training in die Ausbildung aufgenommen.
Sich gegenseitig Feedback geben, dieses einzufordern und anzunehmen gehören nun zum Regelprozess und spricht für die Fehlerkultur der Luftfahrt. Fehler werden offen und direkt angesprochen und alternative Handlungsmöglichkeiten logisch und auf Basis der bestverfügbaren Informationslage betrachtet. Der Erfolg dieser Initiative spiegelt sich nicht zuletzt in der verbesserten Unfallstatistik wider.
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Bewusstsein für die Fehlertoleranz schaffen
Zukünftige Fehler im Vorfeld vermeiden
Impulse und Methoden aus der Luftfahrt im Umgang mit Fehlern lassen sich – auf die speziellen Bedürfnisse adaptiert – in jeder Industrie und durch jede einzelne Person nutzen. Im Rahmen einer effektiven Fehlerkultur sollte man zunächst ein Bewusstsein für die Fehlertoleranz schaffen. Welche Prozesse sind so kritisch, dass sie bildlich gesprochen zum „Absturz“ führen könnten? Welche sind weniger kritisch oder sollen sogar bewusst dazu genutzt werden, um iterativ an Erfahrung zu gewinnen?
Insbesondere die kritischen Prozesse sollten so aufgebaut sein, dass Fehler erst gar nicht passieren; sie sollten möglichst automatisiert und standardisiert sein sowie durch Qualitätskontrollen unterstützt werden. In der Luftfahrt werden die Systeme redundant aufgebaut: Fällt ein System aus, springt ein anderes ein. Jedoch können gerade auch manuelle Schritte fehleranfällig sein. Pilotinnen und Piloten verwenden hierzu Checklisten, um kritischste Schritte transparent vor Augen zu haben. Wesentliche Flugphasen werden vorab visualisiert („Chair Flying“) oder auch gemeinsam am Simulator geübt.
Dennoch kann auch ein sehr gutes Kontroll-Framework nie alle Fehlerquellen berücksichtigen. Häufig kündigen sich Fehlentwicklungen eher durch ein „Bauchgefühl“ als durch eine rot blinkende Warnleuchte an. Beispielsweise zeigen Reportingkennzahlen eine Entwicklung, die sich nicht genau erklären lässt, oder ein Projekt hat durchgehend den Status „grün“ und trotzdem stellt sich ein Störgefühl ein.
Der anscheinend einfachste Weg ist, dem „Bauchgefühl“ nicht nachzugehen und den Aufwand für weitere Analysen zu vermeiden. Pilotinnen und Piloten dagegen werden explizit darauf trainiert, der Intuition zu folgen. Befürchtungen werden offen angesprochen und potenzielle Ursachen gesucht, z. B. durch das genaue Scannen der Fluginstrumente, um mögliche Fehler(-ketten) erst gar nicht aufkommen zu lassen bzw. zu durchbrechen und entsprechend gegenzusteuern.
Kritische Situationen sollten für eine offene Fehlerkultur direkt im Nachgang reflektiert werden, um aus ihnen zu lernen, aber auch um unterschwelligen Konflikten vorzubeugen. Die Aussprache (Debriefing) findet in der Luftfahrt im Cockpit bzw. im geschlossenen Raum zwischen den beteiligten Personen statt. Grundsätzlich sollte dieser Austausch zeitnah und persönlich erfolgen – in der heutigen Zeit kann auch ein Videocall das richtige Medium darstellen. Das Besprochene bleibt, sofern nicht anders vereinbart, unter den Beteiligten und ist nicht auf Fehler beschränkt, sondern kann auch positive Entwicklungen reflektieren.
Fehler transparent machen und richtiges Feedback geben
Fakten- und lösungsorientierte Fehleraufbereitung
Neben dem persönlichen Gespräch ist ein Medium zu schaffen, aus dem auch die Organisation Verbesserungsimpulse ableiten kann. In der Luftfahrt gibt es hierzu strukturierte Formate, z. B. werden Berichte über Unfälle oder Beinahe-Unfälle detailliert aufbereitet und sind de facto eine Pflichtlektüre für alle Pilotinnen und Piloten. In anderen Branchen können hierzu aufgesetzte Meetings oder eine schriftliche Aufbereitung der Sachlage das Mittel der Wahl sein. Grundlage für eine effektive Fehlerkultur ist eine fakten- und lösungsorientierte Aufbereitung, Schuldzuweisungen dagegen sind deplatziert.
Retrospektive zum offenen Austausch über Probleme
Fehler transparent zu machen, insbesondere die eigenen, verlangt Mut und persönliche Reife – gerade wenn die Unternehmenskultur diesbezüglich nicht ausgeprägt ist. Ein Kulturwandel kann Jahre dauern, jedoch lassen sich bereits durch kleine Maßnahmen Impulse setzen. Häufig kann zudem auf bestehende Formate oder Initiativen aufgebaut werden. Im Projektmanagement beispielsweise werden Projekte immer öfter mit agiler Methodik durchgeführt, dabei kann und sollte die sogenannte Retrospektive zum offenen Austausch über Fehlentwicklungen und Problemen genutzt werden.
Moderne Führungsstile, wie z. B. Lean Management, setzen auf eine stärkere Einbindung von Mitarbeitenden in die Prozessverbesserung. Die beste Idee schlägt dabei die Hierarchie. Vereinzelt, insbesondere im Start-up-Umfeld, werden sogenannte „Fuckup-Nights“ durchgeführt – ein Format, in dem „das Scheitern“ und zugleich „das wieder Aufstehen“ zelebriert werden.
Fazit zur Fehlerkultur in Unternehmen
Das mit Abstand größte Potenzial liegt jedoch im eigenen Verständnis und dem entsprechenden Umgang mit Fehlern. Fehler sollten zwar kritisch betrachtet, jedoch auch sachlich und menschlich bewertet werden. Eine zu starke Fokussierung auf eine Fehlervermeidung kann genau das Gegenteil bewirken und häufig zur Passivität führen. Vielmehr sollten Mitarbeitende von ihren Fehlern berichten, um andere an ihrem Lernprozess teilhaben zu lassen. Führungskräfte leben diesen Prozess vor, sind Vorbild und nehmen Mitarbeitenden die Angst. Hierarchieübergreifendes Feedback sollte als zentrales Medium gesehen werden, um sich persönlich aber auch die Organisation weiterzuentwickeln.